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Daniela Dankova

Bei Asperger-Syndrom Inflexibilität und Routinen verbessern


Die Inflexibilität, die sich im Festhalten an Routinen, Stereotypien und Ritualen äußert, zählt zu Symptomen des Asperger-Syndroms (kurz AS). Zugleich zählt sie zu den wichtigen Bewältigungsmechanismen.

Durch die abweichende autistische Wahrnehmung und Informationsverarbeitung empfinden Menschen mit AS die Welt als chaotisch und unberechenbar. Ihre Neigung, eine Struktur und Regelmäßigkeit in die „chaotische“ Welt zu bringen, sich nach eigenen strengen Ritualen zu richten, und möglichst auch die Umwelt sowie andere Menschen zu kontrollieren, ermöglicht es ihnen, in der Welt besser zurechtzukommen. Menschen mit AS benötigen klare Strukturen, weil sie ihnen Orientierung und Sicherheit geben (1).

Die Inflexibilität bringt aber auch Gefahren mit sich. Beispielsweise das Essen von nur wenigen bestimmen Lebensmitteln kann mit der Zeit zu Mangelerscheinungen und folglich zu körperlichen Krankheiten führen. Zudem führen die sich ständig wiederholenden Verhaltensweisen und Aktivitäten zu einer rigiden Alltagsgestaltung, in der es keinen Platz für die eigene Weiterentwicklung und für das Sozialleben gibt (1).



Die Inflexibilität äußert sich

  • im kognitiven Bereich

z.B. als rigides Denken oder als stures Festhalten an der eigenen Meinung.

  • im Verhalten

z.B. im Bedürfnis, täglich denselben Weg zur Schule oder zur Arbeit zu gehen, die gleichen Speisen zu essen, dieselbe Kleidung zu tragen, und im starken Widerstand gegenüber Veränderungen.

Der AS-Betroffene kann bei Veränderungen z.B. mit Schreien, Weinen, Schimpfen, Sich-Zurückziehen, mit Gewalt, Selbstverletzung oder Kontaktabbruch reagieren.

  • in Emotionen

z.B. als Angst vor Veränderungen, als extremer Stress bereits bei kleinen Veränderungen, Gereiztheit oder Aggressivität.

In der Regel versteckt sich hinter Stress, Gereiztheit und Aggressivität in Wirklichkeit Angst. Es ist meistens die Angst vor Neuem, vor Unbekanntem, vor unerwarteten Ereignissen oder vor unstrukturierten Situationen (1).



Was kann man dagegen tun?

Will man unerwünschte Verhaltensweisen, in diesem Fall das unflexible Verhalten, ändern und stattdessen neue, positive Verhaltensweisen erlernen, ist es wichtig, dies in einem entspannten Zustand (ohne Stress) zu machen. Ein entspannter Zustand wirkt als eine Verstärkung bzw. Belohnung. Durch eine Belohnung wird ein Lernprozess vorangetrieben, deswegen trägt ein entspannter Zustand wesentlich zum Erlernen und Aufrechterhalten neuer Verhaltensweisen bei (1).



Mehrdimensionale Problembewältigung


Wenn ein Mensch mit Asperger-Syndrom die Motivation hat, an sich zu arbeiten, und die eigene Flexibilität samt der Akzeptanz von Veränderungen zu steigern, bieten sich dafür mehrere Möglichkeiten auf verschiedenen Dimensionen an – auf der kognitiven, emotionalen, körperlichen Dimension, der Verhaltensdimension und der geistig-spirituellen Dimension.


Erster Schritt

Zuerst werden bewusste Beobachtungen gemacht. Man reflektiert, welche spezifischen Reaktionen bei einem selbst auf den einzelnen Dimensionen auftreten.

Hierzu ist eine gut ausgeprägte Selbstreflexion notwendig. Da die Selbstreflexionsfähigkeit bei Menschen mit AS in vielen Fällen jedoch stark eingeschränkt ist, ist es ihnen in vielen Fällen nicht möglich, den (weiter unten beschriebenen) Prozess selbstständig zu durchlaufen. Es ist deswegen empfehlenswert, diesen Prozess nicht allein, sondern mit einer störungsspezifischen Unterstützung einer Fachperson durchzugehen.

Es kann zudem hilfreich sein, absichtlich eine Veränderungssituation herzustellen und dann in der aktuellen Situation (in kleinen Schritten), die aktuellen Gedanken, Emotionen, Verhalten etc. zu reflektieren.

Die Beobachtungen sollten schriftlich festgehalten werden, weil dadurch die Auseinandersetzung mit den komplexen Inhalten deutlich vereinfacht wird.


Zweiter Schritt

Wenn man sich dessen bewusst wird, welche spezifische Reaktionen auf den einzelnen Dimensionen bei einem selbst ablaufen, kann man sie (bei Bedarf) schrittweise in die erwünschte Richtung lenken.


1. Die kognitive Dimension


Erster Schritt

Hier werden Antworten auf folgende Fragen gesucht:

Welche Gedanken habe ich gerade in dem Moment, wenn ich mit einer unerwarteten Veränderung konfrontiert bin?

Welche Urteile fälle ich in einer solchen Situation?

Welche Einstellung (über mich, über die anderen und über die Welt) habe ich in einer solchen Situation?


Zweiter Schritt

Hier werden die Antworten, die man beim ersten Schritt erhalten hat, näher angeschaut und reflektiert.

Zugleich wird eine neue Denkweise über Veränderung geübt. Es wird unterstützt, sich dessen bewusst zu werden, dass Veränderungen nicht per se schlimm sind, sondern dass sie zum Leben und zur Welt unabdingbar dazugehören. Sie sollten in Zukunft nicht mehr automatisch als negativ, sondern als neutral bewertet werden. Um die automatische Assoziation zwischen „Veränderung“ und „schlimm“ zu verändern, muss sie auch in künftigen Veränderungssituationen jedes Mal infrage gestellt und durch die Gedankeninhalte wie „Veränderung“ und „neutral“ ersetzt werden.

Dadurch werden Veränderungen in Zukunft besser akzeptiert, was den Leidensdruck deutlich reduzieren kann.


2. Die emotionale Dimension


Erster Schritt

Was ich fühle und wie ich fühle, wird zuerst bewusst wahrgenommen.

AS-Betroffene reagieren auf Veränderungen mit Angst und folglich mit Gereiztheit, Aggressivität oder Wut. Wichtig ist, die sekundär entstandenen Gefühle (Gereiztheit, Aggressivität, Wut usw.) genauer anzuschauen und wahrzunehmen, dass es dahinter ein primäres Gefühl gibt. Das primäre Gefühl wird bewusst wahrgenommen und nicht mehr verdrängt.


Zweiter Schritt

Durch das Bewusstwerden der primären Emotion wird diese in vielen Fällen nicht mehr zur sekundären Emotion (wie Wut etc.) führen.

Weiter wird der Frage nachgegangen, wovor genau man Angst (oder eine andere primäre Emotion) hat bzw. was der (Angst-)Auslöser ist und wie und ob dieser beseitigt werden kann.

Falls das nicht möglich ist, werden mögliche (Angst-)Bewältigungsmechanismen thematisiert.


3. Die körperliche Dimension


Erster Schritt

Der Körper reagiert auf die eigenen Gedanken, Gefühle und auf das eigene Verhalten. Ein Beispiel dafür ist das Atmen – bei Stress atmet man schneller.

Wir können aber auch durch die Art, wie wir atmen, unsere Gefühle beeinflussen. Wenn wir kurz und schnell atmen, spüren wir eine innere Erregung, die Muskeln verspannen sich und wir bekommen negative, oft ängstliche Gedanken.

Atmen wir dagegen langsam und tief, spüren wir eine innere Ruhe, wir werden zufriedener, die Gedanken werden ruhiger, die Muskeln entspannen sich und dadurch auch der ganze Körper (2).

Beim ersten Schritt wird der eigene körperliche Ausdruck (Körperbewegungen, Körperhaltung, Mimik, Gestik, Verspannung, Atmung) bewusst wahrgenommen.


Zweiter Schritt

Der bewusst wahrgenommene negative körperliche Ausdruck wird positiv beeinflusst.

Z.B. wenn die Atemzüge kurz und schnell sind, versucht man, tief und langsam zu atmen. Wenn die Muskeln angespannt sind, kann man versuchen, sie bei einer Entspannungsübung zu lockern.

Bei einer unerwarteten Veränderung kann man z.B. bereits von Anfang an versuchen, ruhig und langsam zu atmen.


4.Verhaltensdimension


Erster Schritt

Hier wird überlegt, welche Reaktion man in einer Stresssituation, die durch eine Veränderung entstanden ist, nach außen (also im beobachtbaren Verhalten) zeigt.

Wie gehe ich mit mir um?

Wie gehe ich mit anderen um?


Zweiter Schritt

Hier wird versucht, sich stattdessen eine neue, positive Verhaltensweise anzueignen. Z.B. kann man ein anderes Ventil für die angestaute Wut (bzw. die dahinterstehende Angst) suchen. Anstatt eine andere Person anzuschreien, kann man schwere körperliche Arbeit oder Sport (ein paar Liegestützen usw.) machen.


5. Die geistig-spirituelle Dimension


Bei dieser Dimension geht es um die Identitätssuche (Wer bin ich? Wie bin ich?) und Lebenssinnsuche (Was ist der Sinn meines Lebens?) und mit ihnen zusammenhängende existenzielle Sicherheit.

Der Lebenssinn und eine geklärte, stabile Identität beeinflussen wesentlich die Psyche und das Verhalten jedes einzelnen Menschen (2).

Je sicherer man sich in sich selbst und in der Welt fühlt, desto höhere Resilienz (psychische Widerstandskraft in schwierigen Lebenssituationen, ohne eine anhaltende Beeinträchtigung) hat man.

Es lohnt sich, sich bewusst mit den Inhalten der Lebenssinn- und der Identitätssuche zu beschäftigen. Sobald man diesbezüglich einen stabilen Halt findet, wird man sich selbst positiv verändern sowie auch die eigene Welt- und Menschanschauung.


Es ist empfehlenswert, mit der Selbstreflexion und Weiterentwicklung erstmals nur in einer der Dimensionen zu beginnen, und zwar in derjenigen, in der man am meisten Motivation verspürt.

Da ein Mensch eine Ganzheit von Körper, Geist und Seele ist, und diese eng miteinander und mit dem Verhalten interagieren, hat eine Veränderung in einem der Bereiche Veränderungen in den restlichen Bereichen zur Folge.



Autorin

Daniela Dankova ist Psychologin. Sie arbeitet in einer eigenen psychologischen Praxis in Zürich. Das Asperger-Syndrom ist einer der Schwerpunkte ihrer Tätigkeit. Zu diesem Thema hat sie ein Buch geschrieben.


Buchtitel

Autismus-Spektrum-Störung: Asperger-Syndrom.

Symptomatik, Therapie, Alltagsbewältigung und Partnerschaften.


Taschenbuch: 244 Seiten

Verlag: BoD-Verlag, 2. Auflage (28.10.2020)

ISBN-10: 3752642223

ISBN-13: 978-3752642223

Erhältlich in Onlineshops und in allen Buchhandlungen


Literatur:

  1. Dankova, D. (2020). Autismus-Spektrum-Störung: Asperger-Syndrom. Symptomatik, Therapie, Alltagsbewältigung und Partnerschaften. Norderstedt: BoD-Verlag.

  2. Wardetzki, B. (2013). Mich kränkt so schnell keiner! München: dtv.



Unsere Empfehlung: Das Video zum Artikel - mit vielen Erklärungen und Ergänzungen



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